Beiwerk
Entwerfen als kritische Praxis: Kontext – Konzept – Material
Was Architektur als kulturell produktive Disziplin auszeichnet, ist die kritische Praxis des Entwurfsvorgangs. Ein einfacher, rein funktionaler Ansatz, gleichsam parametrisch die Form aus Kausalzusammenhängen zu generieren, greift zu kurz und kann nur ein Teil des komplexen Entwurfsprozesses sein.
„Das architektonische Entwerfen wird als heterogene ästhetisch-symbolisch-technische Praxis zur Konzeption imaginärer Welten aufgefasst, in der sich kulturelle und soziale Projektionen artikulieren. In dieser Hinsicht kann das Entwerfen als kulturelle Basistechnik für Zukunftsgestaltungen verstanden werden.“
Unter Kontext verstehen wir die Sphäre formaler oder ortsmorphologischer Voraussetzungen wie die Körnung, Höhen, Kubaturen und Dichte, die geprägt sind durch jene geographisch-klimatische wie auch kulturell-historische, technische und rechtliche Dimensionen, die auch uns und unser Tun im Architekturentwurf wie in allen anderen Tätigkeiten prägen. Die reflektierende Analyse eben dieses Kontexts, in dem wir leben und in den ein Gebäude hineinentworfen wird, ist für unsere Arbeit essenziell. Das müssen wir als Architekt*Innen wissen, das müssen wir uns bewusst machen und bewusst halten, das dürfen und müssen wir auch reflektieren und kritisieren.
„My work is never autonomous: I couldn’t simply produce a form that could be put anywhere. […] Also, architecture acquires meaning only after it is inhabited – used and misused. Its meaning changes all the time. As an architect, one can encourage certain conditions for this use and misuse that will potentially entail a meaning, but one has absolutely no control over meaning. If certain things are used in one society for one purpose and in another society for another purpose, they do not have the same meaning; if the context is gone, the meaning is gone.”
Das ist die Grundlage, auf der ein Entwurf entstehen kann. Eine Grundlage, die gebildet wird aus bewussten wie unbewussten Inhalten; aus Inhalten, die in Erfahrung gebracht, die beobachtet oder die gelernt werden; aus Inhalten, die zwingend sind wie Gesetze, Raumprogramme oder ökonomische Rahmenbedingungen; aus Inhalten, die im dynamischen, dialogisch oder team-orientierten Prozess entstehen, und die von mannigfaltigen Faktoren beeinflusst werden:
Polemisch Zwischenfrage: wieweit ist der Entwurfsprozess willkürlich? Bis zu einem gewissen Grad muss er es sein: die erste gezogene Linie oder die erste definierte Fläche, die erste vorgestellte Kubatur ist notwendig willkürlich gesetzt, auf dem Blatt Papier oder am Computer. Es ist auch eine lustvolle Praxis, die Freude am Finden der geeigneten Baukörperform oder ästhetischer und konstruktiver Lösungen für die eigenen Vorstellungen.
Bleibt der Entwurfsprozess ausschließlich lustvolle Willkür? Das darf er gar nicht. Vielmehr treten Willkür und Zwänge in Rückkopplung zueinander, die entlang eines kritischen Pfades verläuft, abweicht, zurückkehrt. Architekt*Innen wissen, wo Willkür beginnt und wie weit sie gehen darf, und wann der Zeitpunkt kommt, Rücksprache zu halten mit dem Kontext.
“In order to produce a powerful piece of work, an architect has to limit the areas addressed. Constraints – whether economic, political, or structural – usually make a project better. They force us to focus on what is really important. Generally speaking, the more constraints there are, the better the building becomes.”
Diesen kritischen Pfad schließlich bildet das „Konzept“, als gleichsam selbstauferlegtes Regelwerk im Rahmen des Kontexts aber auch für den Kontext, schließlich als die Basis für materiellen Formfindungsprozess, der Architektur als Produkt hervorbringt.
“However, when I say that architecture is the materialization of a concept, that’s an oversimplification. An architect often develops a concept in complete abstraction. Nevertheless, at some point he or she needs to ask, what is the material that will allow for the implementation of a particular concept? In other words, the materialization doesn’t – or shouldn’t – happen independently. […] So it is neither the concept that justifies or suggests a certain material, nor the material that brings everything together into a whole.
Kontext, Konzept und Material verlangen jeweils ein permanentes Überprüfen der Stimmigkeit zueinander, das bewusste Hinterfragen: Kann dieses Konzept in dem speziellen Kontext funktionieren? Stimmt die materielle Ausformulierung entlang des Spannungsbogens Kontext und Konzept? Führt das Konzept und Material zu einer Verbesserung im gegebenen Kontext?
Dies ist die kritische Praxis der Architektur, das Reflektieren des eigenen Tuns im Prozess des Entwerfens. Ein Teil dieser kritischen Praxis wird unser Beiwerk sein. Es wird davon erzählen, was wir im Rahmen des Entwerfens auf den vielen Ebenen dieser Disziplin gelernt und in Erfahrung gebracht haben, all dessen, was unser Tun permanent begleitet. Es ist die Fortführung der Praxis des Wettbewerbstexts, der Projektbeschreibungen, die oftmals parallel zum Entwurfsprozess verfasst werden und Reflexionsfläche zur Qualität der Arbeit sind. Es wird so vielfältig sein, wie unsere Arbeit – jedenfalls nicht langweilig!
Glossar
Gethmann, Daniel/Hauser, Susanne: Einleitung, in: dies. (Hrsg.): Kulturtechnik Entwerfen. Praktiken, Konzepte und Medien in Architektur und Design Science, Bielefeld 2009: transcript, S. 9-15, hier: S. 11.
Bernard Tschumi im Gespräch mit Enrique Walker. La Vilette: Theoretical Building (1999), in: Tschumi on Architecture. Conversations with Enrique Walker, New York 2006: The Monacelli Press, S. 59 – 61.
Bernard Tschumi im Gespräch mit Enrique Walker. La Vilette: Built Theory (1999), in: Tschumi on Architecture. Conversations with Enrique Walker, New York 2006: The Monacelli Press, S. 69.
Bernard Tschumi im Gespräch mit Enrique Walker. La Vilette: Built Theory (1999), in: Tschumi on Architecture. Conversations with Enrique Walker, New York 2006: The Monacelli Press, S. 71f.